Licht und
Schatten

Das Trauma der Lawinenkatastrophe von 1999 haben viele Galtürer inzwischen überwunden. Schutzbauten wurden errichtet, der Tourismus gab dem Ort eine Perspektive. Aber es war ein hartes Stück Arbeit. Und manche Spuren, die das Unglück hinterlassen hat, werden nie ganz verschwinden.

Plötzlich war es finster. Nacht, obwohl doch noch Tag war. Am 23. Februar 1999, um 15.58 Uhr, brachte die Natur Dunkelheit, Tod und Zerstörung nach Galtür. Bis das Licht zurückkam, sollte es dauern. Mehr als 180.000 Tonnen Schnee stürzten ins Tal, 200 Stundenkilometer schnell, rissen Häuser und Autos einfach weg, zerlegten alles, was im Weg stand. Männer, Frauen, Kinder begrub die Lawine unter sich. 31 von ihnen starben.

Das Trauma der Lawinenkatastrophe von 1999 haben viele Galtürer inzwischen überwunden. Schutzbauten wurden errichtet, der Tourismus gab dem Ort eine Perspektive. Aber es war ein hartes Stück Arbeit. Und manche Spuren, die das Unglück hinterlassen hat, werden nie ganz verschwinden.

Plötzlich war es finster. Nacht, obwohl doch noch Tag war. Am 23. Februar 1999, um 15.58 Uhr, brachte die Natur Dunkelheit, Tod und Zerstörung nach Galtür. Bis das Licht zurückkam, sollte es dauern. Mehr als 180.000 Tonnen Schnee stürzten ins Tal, 200 Stundenkilometer schnell, rissen Häuser und Autos einfach weg, zerlegten alles, was im Weg stand. Männer, Frauen, Kinder begrub die Lawine unter sich. 31 von ihnen starben.

Heute, 25 Jahre später, sorgen die schroffen Berge und steilen Hänge, diese so schöne wie unberechenbare hochalpine Landschaft, wieder dafür, dass die Menschen im hinteren Paznaun überhaupt eine Existenzgrundlage haben.

Ein kühler Wintervormittag. Am Galtürer Dorfplatz, auf knapp 1600 Metern Höhe, herrscht geschäftiges Treiben.

Aus den umliegenden Hotels und Pensionen strömen die Gäste hierher. Busse bringen sie im Zehn-Minuten-Takt in die umliegenden Skigebiete. Taleinwärts und talauswärts. Selbst manche Städte können von solch einem Öffi-Takt nur träumen.

Heute, 25 Jahre später, sorgen die schroffen Berge und steilen Hänge, diese so schöne wie unberechenbare hochalpine Landschaft, wieder dafür, dass die Menschen im hinteren Paznaun überhaupt eine Existenzgrundlage haben.

Ein kühler Wintervormittag. Am Galtürer Dorfplatz, auf knapp 1600 Metern Höhe, herrscht geschäftiges Treiben.

Aus den umliegenden Hotels und Pensionen strömen die Gäste hierher. Busse bringen sie im Zehn-Minuten-Takt in die umliegenden Skigebiete. Taleinwärts und talauswärts. Selbst manche Städte können von solch einem Öffi-Takt nur träumen.

Ein paar Alteingesessene sitzen in einer Konditorei und frühstücken. Das Gewusel draußen interessiert sie wenig. Wer hier lebt, lebt vom Tourismus. Viele leben gut davon. Nahezu jeder dritte Euro wird in Tirol direkt oder indirekt mit der Freizeitwirtschaft verdient. In der 800-Seelen-Gemeinde ist es wohl nahezu jeder einzelne Cent.

Zwischen all der Hektik, dem ständigen Kommen und Gehen spaziert Hans Walter – warme Mütze, dicke rote Jacke, weiße Hose - durch den Ort, entlang einer Straße hinter der Kirche. Seit mehr als 35 Jahren fährt der Mann aus Nordrhein-Westfalen hierher, um Urlaub zu machen. Auch kurze Zeit nach dem Unglück.

"Es herrschte damals eine Totenstille", erinnert sich der Deutsche und zieht seine buschigen weißen Augenbrauen zusammen. "Wir sind wiedergekommen, weil wir die Einheimischen nicht für etwas bestrafen wollten, für das sie nichts können. Das war ein Jahrhundertereignis, das niemand vorhersehen konnte", meint er. "Viel wurde danach in den Schutz investiert. Manchem meiner Bekannten und Kollegen, die mich für wahnsinnig hielten, weil ich da unterwegs bin, wollte ich zeigen, dass er Unrecht hat. Außerdem ist es hier einfach schön."

Menschen wie Hans Walter waren und sind es, die den Galtürern nach der Katastrophe wieder eine Perspektive gaben. Treue Stammgäste. Das sagt auch Gerhard Walter, der hier aufwuchs und zwischen 1992 und 2004 Galtürs Tourismusdirektor war. "Eine Zeit lang haben wir uns schon gewisse Grundsatzfragen gestellt. Wie etwa: Können wir hier noch leben? Lässt sich überhaupt noch Tourismus machen?"

Gerhard Walter 

Gerhard Walter 

Die Antwort lautete Ja. "Alles andere wäre unvorstellbar gewesen", meint Walter. Aber es hat einiges an Anstrengungen gebraucht, um die Vorstellungen umzusetzen. Nach der Lawine brachen die Nächtigungszahlen ein – von 436.758 im Jahr 1998 auf 345.168 im Jahr 1999. "Anfangs ging der Tourismus von 100 auf null zurück. Fünf Jahre dauerte es, bis wir dann wieder auf demselben Niveau wie vor der Tragödie waren", erzählt er. Vergangenes Jahr zählte der TVB insgesamt 487.169 Übernachtungen. "Manche Betriebe kämpften dadurch, dass der Tourismus eine Zeit lang zurückgegangen ist, sicher mit dem Aus. Heute steht Galtür aber wirtschaftlich ganz gut da, allerdings nützt es noch nicht das Potenzial, das es eigentlich hat." Eine Folge der Ereignisse des 23. Februar vor 25 Jahren.

Schäden wurden beseitigt ...

... Häuser wieder aufgebaut.

In den Wochen und Monaten nach dem Unglück brach eine Medienlawine über das Dorf im Paznaun herein, Dutzende Kamerateams und Journalisten schlugen ihre Lager auf. Als sie sich wieder verzogen, sei laut Walter erst mal keine Werbung im klassischen Sinn gemacht worden. "Es wurden nur gezielt Informationen verbreitet. Darüber, wie der Ort geschützt wird, dass alles sicher ist", sagt der einstige Tourismusdirektor. Dies sei ein Startschuss für die heute noch in Österreich und darüber hinaus übliche Krisenkommunikation gewesen. Eine Blaupause. "Wir konnten damals auf keine Erfahrungswerte mit solchen Vorfällen zugreifen", erzählt Walter. "Und mussten alles auf die harte Tour selbst entwickeln."

Wie viele andere Dinge auch erst nach der Tragödie von Galtür mehr ins Bewusstsein der Tirolerinnen und Tiroler im Allgemeinen und auch der hiesigen Entscheidungsträger rückten. Ausmaß und Wucht, mit denen damals die Schneemassen ins Tal abgingen, hatte so niemand erwartet. Der Digitalfunk wurde sukzessive eingeführt, Gefahrenzonenpläne angepasst, die Ausbildung von Bergrettern noch weiter professionalisiert, Wetter- und andere Messstationen zu einem Netz ausgebaut, das mittlerweile weltweit zu den besten gehört.

"Einiges davon geschah unter enormem Zeitdruck", erinnert sich Gebhard Walter. Er leitet aktuell die Wildbach- und Lawinenverbauung Tirol, sitzt in einem Besprechungsraum in der Innsbrucker Zentrale, ist selbst Galtürer. Nach dem Unglück hat er in seiner Heimatgemeinde bei den Aufräumarbeiten geholfen. "Alles sehr, sehr dramatisch gewesen", sagt Walter.

Und während er das tut, stockt kurz seine Stimme.

In Galtür wurde laut ihm "alles technisch und nach menschlichem Ermessen Mögliche gemacht", um die Bevölkerung vor Naturgefahren zu schützen. Seit 1999 wurden rund 16 Millionen Euro in die Lawinenverbauung investiert, tirolweit waren es im selben Zeitraum mehr als 300 Millionen Euro.

Seither gab es hierzulande keinen einzigen Toten bei einem Abgang in den Siedlungsraum. Zirka 2000 Lawinenstriche beobachten Walter und seine Kollegen durchgehend und entscheiden, wie diese entschärft werden. Alle Lawinenverbauungen in dem Landesgebiet aneinandergereiht würden die Strecke zwischen Innsbruck und Wien ergeben.

"Trotz aller Anstrengungen wird in gewissen Regionen ein Risiko bleiben", sagt Walter. Beispiel Galtür, das ungeachtet modernster Schutzbauten ein hochalpines Dorf bleibt. "Hundertprozentige Sicherheit gibt es da nicht."

Ein Gefühl der Sicherheit soll den Einwohnern und Touristen aber das Alpinarium geben. Es steht mitten im Ort. 345 Meter lang, 19 Meter hoch. Schutzmauer, Museum und Gedenkstätte für die Opfer der Katastrophe in einem.

Dort oben auf der Dachterrasse steht Anton Mattle – lange Zeit Bürgermeister in Galtür und jetzt Tiroler Landeshauptmann – und blickt hinauf zu dem Hang unterhalb des Grates zwischen Grieskopf und Grieskogel. Dorthin, wo am 23. Februar vor 25 Jahren das Unglück seinen Ausgang nahm.

Noch heute tue es ihm gut, über die Lawine und ihre Folgen zu reden. "Über die Bilder, die nicht mehr aus dem Kopf gehen." Jene, die ihre Liebsten verloren hätten, Touristen wie Einheimische, und die restliche Dorfgemeinschaft, seien in dieser Zeit zusammengewachsen. "Wir fühlen uns als Schicksalsfamilie", sagt Mattle. "Ich gehe davon aus, dass besonders rund um den Jahrestag in den Familien bei uns immer wieder über die Katastrophe gesprochen wird. Und ich weiß auch, dass es in den Schulen im Paznaun Thema ist." Ansonsten hätte sich das Interesse gelegt. Und das sei gut so.

Das Unglück war tragisch, ein tiefer Einschnitt im Leben vieler Menschen. Auch Anton Mattle gehört dazu, das merkt jeder, der mit ihm darüber spricht. Die Wunden sind verheilt, Narben aber bleiben. Und die schmerzen immer noch. Dennoch habe die Lawine letztlich einiges an Veränderung gebracht, sagt der Landeshauptmann.

"Viele positive Dinge sind dadurch entstanden, europaweit und weltweit wurde einiges ausgelöst."

So viel in die Sicherheit investiert worden wie in Galtür, sei sonst wohl nirgends in den Alpen.

"Es hat viel Kraft gebraucht im Ort, damit wir den Mut nicht verlieren", erzählt Mattle. "Aber es ist uns gelungen. Wir haben den Weg zurückgeschafft." Touristisch wie auch im Dorfleben. Als im Jahr 1999, nach der Zeit der ersten Trauer, die Skilifte wieder gestartet wurden, sei das für ihn und viele andere befreiend gewesen. "Allein das Wissen darum, dass sich prinzipiell die Seilbahnen drehen, war ein Stück weit Normalität."

Zurück zum zentralen Platz in Galtür. Dort steht auch das Gemeindeamt. Und darin hat, seit Anton Mattle zum Landeshauptmann gewählt wurde, Hermann Huber die Geschäfte übernommen. Huber ist Gastronom und Hotelier, lebt von den Urlaubern. Und weiß, was er und das Dorf ihnen zu verdanken haben. "Maurer, Tischler, Elektriker oder Skilehrer – sie alle leben vom Tourismus", sagt Huber.

Bei den Gästen sei die Lawine von 1999 kaum noch Thema. Schon gar nicht im Winter. Eher noch in den Sommermonaten, wenn schon etwas Ältere hier Ferien machen, die sich gut an die Katastrophe erinnern können oder sie miterlebt haben. Die Galtürer selbst wollen das, was war nicht vergessen, tun dies allerdings in kleinem Rahmen. Am Jahrestag des Unglücks gibt es in der Pfarrkirche eine Gedenkmesse, andere Veranstaltungen sind nicht geplant. Und sie will hier auch niemand.

Hermann Huber

Hermann Huber

"Ganz abgeschlossen wird das Thema in Galtür aber nie sein", meint Huber. Schon die Kleinsten würden damit aufwachsen. Sie seien auch im Vergleich zu den Bewohnern anderer Bergtäler hinsichtlich mancher Naturgefahren besser sensibilisiert. Der Ort sei jetzt sicher, betont er immer wieder.

"So sicher es eben geht."

Es ist ihm wichtig, das zu kommunizieren. Urlauberinnen und Urlauber brauchen keine Angst haben. Das wäre auch schädlich für das Geschäft. "Wir haben ja keine andere Möglichkeit als Tourismus zu machen", sagt der Bürgermeister. Dann steigt er ins Auto und fährt zu seinem Gasthaus, ein paar Kilometer weiter drinnen im Tal. Bald ist Mittag. Die Besucher wollen bedient werden. In Galtür sorgen sie für eine Existenzgrundlage. Für Perspektiven. Eine Zukunft.

25 Jahre nach der Tragödie zeigt Galtür Zeichen der Erholung, doch die Narben sind unvergessen.

Lesen Sie weiter über den Tag, der Galtür für immer verändert hat: "Und plötzlich wurde es finster"

An dieser Geschichte haben gearbeitet:
Marco Witting, Benedikt Mair, Matthias Reichle, Anita Kapferer, Thomas Böhm, Lukas Engl, Florian Margreiter, Christoph Rauth

Fotos: APA, Bundesheer, TT