Gerhard Mangott

Vom kleinen Bergdorf
auf die Bühne der großen Weltpolitik:
Der Russland-Erklärer aus Fließ

Gerhard Mangott

Vom kleinen Bergdorf
auf die Bühne der großen Weltpolitik:
Der Russland-Erklärer aus Fließ

von Christian Jentsch

Als Russland-Experte ist Univ.-Prof. Gerhard Mangott ein international gefragter Mann, besonders seit Russlands Krieg in der Ukraine. Sein Karriereweg war steil, er führte den Arbeitersohn aus dem Oberländer Bergdorf Fließ an die Universität Innsbruck, wo er seit 2015 als Professor für Politikwissenschaft lehrt, und als Analyst in die Fernsehstudios und auf Politikseiten renommierter Zeitungen. Über 800 Interviews gab er allein im Vorjahr. Ein Leben voller Leidenschaft und Erfüllung aber auch gespickt mit Kränkungen und Enttäuschungen.

Die Ursprünge

Es war eine enge kleine Welt, in der er aufwuchs. In der 3100-Seelen-Gemeinde Fließ, einem Bergdorf im Oberen Gericht bei Landeck, das sich oberhalb des Inntals an die Hänge des Venet-Massivs schmiegt, waren die Grenzen eng gesteckt.

Für Gerhard Mangott oftmals zu eng. Da blieb nur die Flucht in die eigene Welt, erschaffen aus Literatur, Philosophie und politischem Diskurs. „Da war wenig Platz für Weltoffenheit, für Anderssein“, erinnert sich der heute 56-Jährige. Doch obwohl er zusammen mit drei Geschwistern in einem ärmeren Arbeiterhaushalt in Fließ aufwuchs – der Vater arbeitete in einer Metzgerei, die Mutter war Hausfrau – und Politik in der Familie kein Thema war, wurde in die Bildung der Kinder investiert.

„Bildung und sozialer Aufstieg war meinen Eltern sehr wichtig. Das, was ihnen verwehrt blieb, wollten sie uns Kindern ermöglichen.“
Gerhard Mangott über die Unterstützung durch sein Elternhaus

Frühes Interesse für die Politikwissenschaft

„Bildung und sozialer Aufstieg war meinen Eltern sehr wichtig. Das, was ihnen verwehrt blieb, wollten sie uns Kindern ermöglichen“, erzählt Mangott, der sich schon im Alter von 13 Jahren für Politik zu interessieren begann. Nach der Volksschule in Fließ besuchte er das Gymnasium in Landeck. „Mit 14 habe ich in Landeck Vorträge des Politikwissenschaftlers Anton Pelinka angehört. Ich war begeistert und fasste schon damals den Entschluss, Politikwissenschaft studieren und Professor werden zu wollen. Und diesen Entschluss zog ich später nie mehr in Zweifel.“

Gesagt, getan. Fasziniert von seinem großen Vorbild Anton Pelinka und interessiert an politischen Zusammenhängen, vor allem auf der internationalen Bühne, zog es Mangott nach der Matura in Landeck an die Universität – zuerst nach Salzburg und dann nach Innsbruck –, um Politikwissenschaft zu studieren. Der ganze Fokus galt dem Studium, für Bars und Diskotheken blieb da keine Zeit und auch kein Interesse. In zwei Jahren absolvierte er im Schnelldurchgang alle Lehrveranstaltungen, um sich dann tief in die Diplomarbeit, die sich mit der Perestrojka in der Sowjetunion befasste, hineinzuknien.

© Rundschau

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Sein Interesse für die Sowjetunion und Russland

Dass ihn die Sowjetunion und später Russland in den Bann zog – „eigentlich war ich durch die Beschäftigung mit den französischen Existenzialisten auf Frankreich fixiert“ –, war sozusagen die Schuld von Zdenek Mlynar, einstiger tschechoslowakischer Politiker, Hauptakteur des Prager Frühlings und Mitverfasser der Charta 77, der in die Emigration nach Österreich gezwungen wurde und ab 1989 als Dozent an der Universität Innsbruck lehrte. Mangott besuchte seine Lehrveranstaltungen und war begeistert. „Mlynar, der aus erster Hand über umfangreiches Wissen über die Sowjetunion und Osteuropa verfügte und zusammen mit Michail Gorbatschow studierte, wusste Wunderbares aus dem Nähkästchen zu erzählen.

Und das genau zu jener Zeit, als Gorbatschow am 10. März 1985 zum Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gewählt wurde und alle mit großer Spannung auf Reformen warteten.“ Da war es um den jungen Studenten im zweiten Semester geschehen, „auch weil Mlynar in mir eine Art Schüler sah“.

„Das war der entscheidende Faktor, warum die Sowjetunion und später Russland“ zu meinem Forschungsschwerpunkt wurde. Um Russland und seine Politik besser zu verstehen, studierte Mangott auch noch Slawistik, „allerdings ohne Abschluss, nur um Russisch zu lernen“, wie er betont. 1989 folgte die Sponsion, 1991 bekam er die Stelle des Osteuropareferenten am Österreichischen Institut für Internationale Politik in Laxenburg und später in Wien. 2001 promovierte er bei Anton Pelinka und Fritz Plasser an der Universität Innsbruck, 2002 folgte die Habilitation. Übrigens: Worte der Anerkennung hat Mangott seitens der Universität Innsbruck selten gehört, wie er anmerkt.

Mangott reiste immer wieder nach Russland, um sich wissenschaftlich mit Kollegen auszutauschen und Kontakte auch auf politischer Ebene zu pflegen. „Studiert habe ich in Russland freilich nicht. Dazu hatte ich als Arbeitersohn auch nicht die finanziellen Mittel“, erzählt er. Kremlchef Wladimir Putin hat er persönlich zwar bei Besuchen von Expertengruppen getroffen, nie aber in einem Vier-Augen-Gespräch. „Ich würde das aber auch heute machen, auch wenn Putin als mutmaßlicher Kriegsverbrecher gilt. Allein aus wissenschaftlicher Neugier“, so Mangott.

„Ich würde das aber auch heute machen, auch wenn Putin als mutmaßlicher Kriegsverbrecher gilt. Allein aus wissenschaftlicher Neugier.“

Ein viel gefragter Experte

Seit 1. Oktober 2015 ist Mangott Universitätsprofessor für Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck. Mit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar des Vorjahres wurde seine Expertise immer gefragter. Um angesichts furchterregender Entwicklungen – in der Ukraine wurden Städte dem Erdboden gleichgemacht, die Bande zwischen Russland und dem Westen wurden gekappt, die Zeitenwende ausgerufen, der Kalte Krieg neu entfacht – das Geschehene zu erklären und Prognosen über das Kommende abzugeben. In Europa geht wieder die Angst um, die Unsicherheit. In dieser Zeit, in der die Welt aus den Fugen geraten zu sein scheint, ist die Analyse Mangotts für viele ein Anhaltspunkt. Im Vorjahr gab der Russland-Experte 819 Interviews, in österreichischen und deutschen Medien ist er allgegenwärtig.

Ein viel gefragter Experte

Seit 1. Oktober 2015 ist Mangott Universitätsprofessor für Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck. Mit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar des Vorjahres wurde seine Expertise immer gefragter. Um angesichts furchterregender Entwicklungen – in der Ukraine wurden Städte dem Erdboden gleichgemacht, die Bande zwischen Russland und dem Westen wurden gekappt, die Zeitenwende ausgerufen, der Kalte Krieg neu entfacht – das Geschehene zu erklären und Prognosen über das Kommende abzugeben. In Europa geht wieder die Angst um, die Unsicherheit. In dieser Zeit, in der die Welt aus den Fugen geraten zu sein scheint, ist die Analyse Mangotts für viele ein Anhaltspunkt. Im Vorjahr gab der Russland-Experte 819 Interviews, in österreichischen und deutschen Medien ist er allgegenwärtig.

Mangott nimmt dabei die Perspektive Moskaus unter die Lupe, was ihm auch viele Feinde beschert hat. „Ich beschäftige mich seit 37 Jahren intensiv mit Russland. Und habe mich dabei immer bemüht, das russische Denken zu verstehen, die Außenpolitik Russlands aus russischer Perspektive zu begreifen. Ich habe mich nie darauf beschränkt, nur die westliche Sicht darzustellen. Ich will den Menschen auch die russische Sichtweise erklären, was ja nicht heißt, dass diese die richtige ist“, erklärt Mangott auch in Hinblick auf viele Anfeindungen von politischer und medialer Seite, mit denen er sich auseinandersetzen muss.

Mangott nimmt dabei die Perspektive Moskaus unter die Lupe, was ihm auch viele Feinde beschert hat. „Ich beschäftige mich seit 37 Jahren intensiv mit Russland. Und habe mich dabei immer bemüht, das russische Denken zu verstehen, die Außenpolitik Russlands aus russischer Perspektive zu begreifen. Ich habe mich nie darauf beschränkt, nur die westliche Sicht darzustellen. Ich will den Menschen auch die russische Sichtweise erklären, was ja nicht heißt, dass diese die richtige ist“, erklärt Mangott auch in Hinblick auf viele Anfeindungen von politischer und medialer Seite, mit denen er sich auseinandersetzen muss. „Das Bemühen um das Verstehen der russischen Politik wird im politischen und medialen Diskurs oft verunglimpft, ich wurde als Putin-Versteher oder Russland-Versteher bezeichnet“, so Mangott.

„Das Bemühen um das Verstehen der russischen Politik wird im politischen und medialen Diskurs oft verunglimpft, ich wurde als Putin-Versteher oder Russland-Versteher bezeichnet.“

„Das Bemühen um das Verstehen der russischen Politik wird im politischen und medialen Diskurs oft verunglimpft, ich wurde als Putin-Versteher oder Russland-Versteher bezeichnet.“

Ein Wissenschaftler, kein Aktivist

Dabei ist für den Russland-Experten eines ganz klar: „Als Wissenschaftler haben für mich moralische Wertungen keinen Platz, ich will Emotionen aus meiner Analyse fernhalten. Ich bin Wissenschaftler, kein Aktivist.“

„Ich mache mich mit einer Sache nicht gemein, auch nicht mit einer guten.“
Hanns Joachim Friedrichs

„Ich mache mich mit einer Sache nicht gemein, auch nicht mit einer guten“, zitiert er den deutschen Journalisten Hanns Joachim Friedrichs. Ein Satz, den er als sein Leitmotiv bezeichnet. Und trotzdem: „Viele Reaktionen haben mich verletzt“, erzählt Mangott, „ich habe mich entschieden, in die Öffentlichkeit zu gehen und muss nun mit den Konsequenzen leben. Das ist der Preis. Aber eigentlich bin ich zu dünnhäutig dafür. Vieles kann mich verletzten, mehr als es sollte“, räumt er ein, „auch wenn ich mich geirrt habe und meine Einschätzungen und Erwartungen nicht eintrafen, habe ich immer alles, was ich je gesagt oder geschrieben habe, aus wissenschaftlicher Redlichkeit getan. Ich wollte nie jemandem gefallen“, so Mangott an seine Kritiker.

Ein Leben geprägt von Arbeit und Forschung

Die Arbeit und die Forschung prägen sein Leben, mit Hingabe und mit viel Herzblut.  „Doch der Glaube an die Redlichkeit im Diskurs, an die Fairness wurden erschüttert“, beschreibt er auch die bitteren Pillen, die er schlucken musste. „Bei Kränkungen kommt mittlerweile schon oft der Gedanke, mich ganz aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Doch ich habe immer noch Lust, den Menschen Wissen zu vermitteln. Und das in einer Sprache, die verständlich ist“, erklärt der Russland-Experte seine Motivation weiterzumachen.  Auch wenn „die lange Beschäftigung mit der Krise und dem Krieg schon zermürbend ist“, wie er einräumt, „manchmal möchte ich einfach etwas ganz anderes machen.“

Doch dafür bleibt wenig Zeit. Ein arbeitsfreies Wochenende ist für Mangott unvorstellbar: „Die Welt bleibt am Wochenende ja nicht stehen. Jeder Tag beginnt mit dem Lesen von Zeitungen wie der New York Times oder Neuen Züricher Zeitung. Und auch russische Medien und Nachrichtenagenturen dürfen nicht fehlen“, erklärt er.

Auch wenn er so viel Zeit wie möglich für seine Partnerschaft - „die gibt mir Kraft“ - finden will. Was trotz all der Arbeit bleibt, ist seine Liebe zur Musik, von klassischer Musik russischer Komponisten bis hin zu seiner „Lebensband“ Depeche Mode, deren Konzerte er auch schon mehrfach besucht hat. Für sportliche Aktivitäten bleibt nicht viel Zeit. Wenn doch, spielt er Tischtennis (und das auf Vereinsebene) oder macht Krafttraining.

Es ist ein Leben, das von Arbeit dominiert ist. Doch jenseits der großen Politik da draußen gibt es etwas, was Mangott auch noch erkunden möchte. Die Reise ins eigene Ich. „Ich will mich selber kennenlernen. Ich kenn mich bisher nur als Arbeitstier. Da gibt es sicher noch etwas zu entdecken.“ 

Fotos: Mangott, Böhm, Wenzel, TT, iStock, Universität Innsbruck