Alte Rassen, neue Chancen

Bäuerin Heidi Bacher versorg im Laufstall des Pflerscherhofs zwei junge Kälber.

Bäuerin Heidi Bacher versorg im Laufstall des Pflerscherhofs zwei junge Kälber.

Familie Bacher vom Pflerscherhof in Padaun züchtet Original Braunvieh. Vor 25 Jahren waren diese Rinder fast aus Tirol verschwunden, jetzt entdecken wieder mehr Bauern ihre Vorzüge.

Von Benedikt Mair (Text) und Rita Falk (Fotos)

Hoch oben über dem Valsertal liegt auf einem Plateau der Weiler Padaun. Kurz vor dem Ende der engen, sich durch Wiesen schlängelnden Bergstraße, die erst in den 1970er-Jahren angelegt wurde, steht der Pflerscherhof. Eine kleine Kapelle, ein Holzschuppen, ein dreistöckiges Bauernhaus, Stadel und Stall. Hier leben Stefan Bacher, seine Frau Heidi, die gemeinsamen Kinder und mit ihnen rund 300 Hühner, 15 Schafe, neun Ziegen und ein Hund.

Der ganze Stolz der Familie aber sind die Kühe, derzeit zwölf, und eine Reihe von Kälbern. Allesamt Original Braunvieh. Diese Rasse war noch vor einem Vierteljahrhundert beinahe aus Tirol verschwunden, kehrt allerdings nach und nach zurück ‒ auch, weil immer mehr Bauern ihre Qualitäten wieder schätzen lernen.

Bauer Stefan Bacher und seine Frau Heidi bewirtschaften den Pflerscherhof in Padaun seit mittlerweile 27 Jahren.

Bauer Stefan Bacher und seine Frau Heidi bewirtschaften den Pflerscherhof in Padaun seit mittlerweile 27 Jahren.

In Padaun, auf knapp 1600 Metern Höhe, sind die Weiden karg. Die Menschen mussten sich an diese Bedingungen anpassen, ihre Tiere auch. Eine kühle Brise pfeift an diesem Morgen im Oktober über das Plateau, die Äste der Bäume schwingen im Wind.

Stefan Bacher sitzt am Tisch in der Küche, hinter ihm an der Wand prangt ein Kruzifix. Den Pflerscherhof bewirtschaftet seine Familie bereits seit mehr als zwei Jahrhunderten, vor 27 Jahren nahmen er und seine Frau das Ruder in die Hand. "Schon mein Vater hat Original Braunvieh gehalten. Das ist unkompliziert, für die Berge gemacht, robust, kommt mit dem Futter, das es bei uns gibt, aus und bringt trotzdem guten Ertrag."

Beinahe ausgestorben

Wenn er über die Tiere spricht, funkeln seine Augen, der Bauer kommt ins Schwärmen. "Die braune Kuh ist die beste Kuh. Eine davon gibt zwar nur bis zu 6000 Liter Milch pro Jahr, aber im Gegensatz zu vielen Hochleistungs-Rassen kann auch ihr Fleisch gut verwertet werden."

Hierzulande ist der Bestand dieser recht anspruchslosen Rinder Ende des vergangenen Jahrtausends auf nur mehr rund 50 Stück geschrumpft, was unter anderem mit wachsenden Ansprüchen der Landwirte zu tun hatte. Immer höherer Ertrag in immer kürzerer Zeit da konnte das Original Braunvieh einfach nicht mithalten.

"Es lag am Zeitgeist, dass die Rasse fast ausgestorben wäre", sagt Bacher. "Die Milchleistung der Tiere empfanden viele als zu schlecht, andere gaben mehr. Meine Familie war eine der wenigen, die bei diesem Trend nicht mitgemacht haben. Jetzt sind wir froh und stolz darauf, sie im Stall zu haben."

Die Tiere sind an ihrem birnenförmigen Schädel, der durchgehend braunen Farbe und der gedrungenen Statur zu erkennen. Mittlerweile werden allein in Tirol wieder 800 Stiere, Kühe und Kälber gehalten, bundesweit zirka 2000. Züchter finden sich auch in der Schweiz, in Deutschland und Südtirol.

Von Generalisten zu Spezialisten

Allein in Österreich werden rund 40 Nutztierrassen als gefährdet oder sehr selten gelistet. "Es gibt eine ganze Menge", sagt Josef Quehenberger. "Vom Rind bis zur Taube, vom Hund über Pferd und Schwein bis zur Biene.“ Quehenberger muss es wissen. Der Landwirt aus Abtenau im Bezirk Hallein ist Geschäftsführer des Vereins Arche Austria, der sich der Erhaltung bedrohter Nutztierrassen verschrieben hat.

"Viele unserer Nutztiere waren Generalisten", meint Quehenberger. Das sei durchaus sinnvoll gewesen, da die meisten Bauern hierzulande sich auf ihren Höfen selbst versorgen mussten. "Als sich in modernen Zeiten die Landwirtschaft stark spezialisiert hat, zählte bei einer Kuh dann nur noch, dass sie viel Milch gibt. Dass auch ihr Fleisch genutzt werden oder sie einen Karren ziehen kann, war nicht mehr wichtig.“

"Je vielfältiger die Genetik, desto stabiler das ökologische System."
Josef Quehenberger, Geschäftsführer von Arche Austria

In letzter Zeit beobachtet Quehenberger allerdings eine Trendumkehr, immer mehr Betriebe halten wieder Alpine Steinschafte, Pustertaler Sprinzen, Gamsfärbige Gebirgsziegen, Original Braunvieh und Co. Das sei für die Natur als Ganzes und im Hinblick auf die Artenvielfalt durchaus zu begrüßen. "Je vielfältiger die Genetik, desto stabiler das ökologische System."

Und auch angesichts des Klimawandels könne es klug sein, die Ställe wieder mit alten Rassen zu bevölkern, sagt er. "In herausfordernden Zeiten macht es Sinn, Tiere zu haben, die leichter mit erschwerten Bedingungen umgehen können."

Der Verein Arche Austria hat aktuell zirka 1500 Mitglieder, erzählt der Geschäftsführer. Rund 50 Höfe in Österreich seien zudem speziell zertifiziert und würden die Idee der Organisation als Leuchtturmprojekte repräsentieren. Quehenberger glaubt aber, dass die Landwirte allein nicht für die Erhaltung sorgen können. Denn "sobald Rassen ökonomisch massiv unter Druck geraten, kommen auch ihre Halter, die Bauern, in Bedrängnis“. Wer also bei solchen Betrieben kaufe, unterstütze ihre wichtige Arbeit.

Topfen, Butter, Graukäse

Die Erzeugnisse des Pflerscherhofs gibt es auf Bestellung, in ausgewählten Geschäften der Region oder zum Selbstabholen im kleinen Laden in Padaun. Mittlerweile werden die Produkte allerdings auch nach Südtirol, Deutschland und sogar Frankreich verschickt. "Vermarktet werden nur unsere eigenen Sachen", sagt Heidi Bacher. "Wir kaufen nichts zu. Wenn fertig ist, dann ist fertig."

Vater Stefan (rechts) und Sohn Maximilian Bacher sind stolz auf ihre Tiere.

Vater Stefan (rechts) und Sohn Maximilian Bacher sind stolz auf ihre Tiere.

Vertrieben werden Milch und Fleisch der Rinder. Die Bäuerin backt dazu noch Brot, stellt aus den Eiern der Hennen Likör her, macht Topfen oder Graukäse und buttert. "Im Sommer ist die Butter unser Renner", erzählt Bacher. Schon während des Monats Mai würden Bestellungen über mehrere Kilogramm hereintrudeln.

"Ich melke unsere Kühe. Mit ihnen musst du fein sein, dann liefern die auch was Gutes."
Heidi Bacher, Bäuerin am Pflerscherhof

"Ich melke unsere Kühe", sagt sie. "Mit ihnen musst du fein sein, dann liefern die auch was Gutes." Unterstützung bekommen Heidi und Stefan Bacher von ihren Kindern Corinna, Daniel und Maximilian, der irgendwann den Hof übernehmen soll.

Bei Familie Bacher packen alle mit an (von links): Corinna, Maximilian, Vater Stefan, Mutter Heidi und Daniel.

Bei Familie Bacher packen alle mit an (von links): Corinna, Maximilian, Vater Stefan, Mutter Heidi und Daniel.

Alle packen mit an ‒ besonders während der Vorbereitungen für die Tierschauen, an denen die Rinder der Familie immer wieder teilnehmen. Dafür werden sie gewaschen, geschoren, gestriegelt. Viel Herzblut und zahllose Arbeitsstunden fließen da rein. Der Aufwand ist groß, aber macht sich bezahlt.

"Zweimal hatten wir die Landes- und einmal sogar die Bundessiegerin beim Braunvieh auf unserem Hof", sagt Bauer Stefan Bacher stolz. Von den vielen Erfolgen zeugen Dutzende Plaketten, Bilder, bunte Schleifen und Bänder, die von der Familie im Hausgang aufgehängt wurden.

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Tierschauen gibt es im Alpenraum zahlreiche. Eine ganz besondere fand vor Kurzem in Navis statt. Laut Lukas Peer, dem Naviser Bürgermeister und Obmann des Vereins, der die "Wipptal-Classic" genannte Veranstaltung organisiert, waren insgesamt rund 160 Landwirte vor Ort, wetteiferten um Auszeichnungen und hatten Spaß daran, ihr schönstes Vieh zu präsentieren.

"Gezeigt wurden hauptsächlich seltene Arten", erklärt Peer. "Dabei sind Pferde, Schafe, Ziegen und eben Rinder." Dass immer mehr Bauern auf diese alten, fast ausgestorbenen Rassen setzen, beobachtet auch Peer. "Die sind standortangepasst. Bei uns in Tirol gibt es nicht die Fütterungsgrundlage für hochgezüchtete Hochleistungskühe."

Traktoren, Autos, Kühe

Die Zucht von Original Braunvieh ist Stefan Bachers Leidenschaft. "Manche haben eine Schwäche für schnelle Autos oder neue Traktoren, ich für schöne Kühe", sagt er. "Aber am Ende des Tages zählt nur, dass es den Tieren gut geht und sie gesund sind."